Welchen Sinn hat das Trauerjahr ?

  • Ist z.B. ein Ehepartner oder sehr naher Verwandter gestorben, beginnt für die Hinterbliebenen ein Zeit der drastischen Umgewöhnung und Umstellung.
    Bei Ehepartnern kann diese Umstellung sehr extrem ausfallen, wenn der/die verstorbene Partner/in zuvor alles Finanzielle geregelt hat. Die/die Hinterbliebene muss jetzt das lernen, was die/der Verstorbene zuvor erledigt hat


    Aus früheren Zeiten hat sich auch heute noch in ländlichen Gegenden der Brauch gehalten , dass sich die/der Witwe/r im "Trauerjahr" schwarz kleidet.
    Ich habe natürlich auch keine "wirkliche Ahnung" wann/wo diese Tradition entstanden ist. Es gibt aber einen "logischen Zusammenhang" ,weshalb sich Hinterbliebene auf diese Art seit Jahrhunderten "freiwillig outen".


    In früheren Zeiten waren Frauen in jeglicher Hinsicht voll abhängig von ihren Ehemännern. Der Mann sicherte die soziale Stellung und war der Ernährer der Familie. Da Männer statistisch immer früher sterben als Frauen, ist klar, dass es früher (allein aus statischen Gründen) mehr Witwen gab.
    Die schwarze Kleidung war also sozusagen ein "visueller Hilferuf" : "Hier ist eine Frau, die eure Hilfe braucht"


    Man darf nicht vergessen, dass Frauen keinem Beruf nachgehen durften. Allerhöchstens konnten sie Waren auf dem Markt verkaufen , um irgendwie Geld verdienen zu können oder für andere putzen und waschen.
    Gab es diese Möglichkeiten nicht , waren sie dazu verdammt, allein von den Spenden wohltätiger Leute leben zu müssen.
    Moralisch war es nicht akzeptiert , dass eine Witwe nach dem Tod ihres Mannes erneut heiratete. In "armen Gegenden" war der Tod des Ehemannes also faktisch gleichzusetzen mit Armut und Not der Witwe.
    Ganz fatal gesehen , dauerte die Witwenzeit im Durchschnitt auch nicht sehr lange. Ohne regelmäßiges Einkommen und Nahrung konnten die armen Witwen nicht sehr lange überleben.


    Heute sind die Zeiten natürlich völlig anders.
    Trotzdem sind auch heute noch Witwen und Witwer auf die Hilfe ihrer nahen sozialen Umgebung angewiesen.
    Eine Frau in Trauerkleidung muss sich plötzlich mit allem auseinander setzen , was zuvor ihr Mann erledigt hat. Das Langwierigste und Schwierigste sind dabei die typischen Behördengänge und und alles was mit dem Einkommen und dem Erbe zu tun hat.


    Wer jetzt denkt, das lasse sich in einem Rutsch erledigen, ist "schief gewickelt". Selbst wenn scheinbar alles geregelt ist, kommen auch fast ein Jahr später immer noch Rückfragen oder Nachweisforderungen von diversen Institutionen.
    Nicht zu vergessen, dass auch immer noch Verträge "auftauchen" können, die seit Jahrzehnten fast automatisch abliefen und deren Unterlagen man in der Zwischenzeit nie beachten musste.


    Sollten Witwen auch heute noch Trauerkleidung tragen ?
    Vom Standpunkt der Hilfsbedürftigkeit, würde ich es auch heute noch befürworten wollen. Je kleiner der Wohnort, desto mehr Hilfe wird man dabei/dadurch erfahren.Das soziale Leben muss sich erst neu regeln.


    Die Trauerkleidung hilft dabei ein wenig. Es hat also nicht mehr wirklich etwas mit Trauer zu tun, sondern eher damit, dass die soziale Gemeinschaft erkennt "was los ist" und einer Witwe die Hilfen gibt, die sie eventuell nötig haben könnte.
    Und wenn es nur den Erfolg hat, dass man nicht mehr gefragt wird "Na ? Wie geht es deinem Mann ?" :thumbdown:


    Wie lange sollte man Trauerkleidung tragen ?
    "Damals" haben Witwen oft bis Lebensende Trauerkleidung getragen , was durchaus auch verständlich war (siehe oben) . Da rauen heute nicht mehr von ihren Ehemännern abhängig sind, sollte man den "optischen Hilferuf" nur so lange "setzen" , wie man wirklich Hilfe benötigt - oder so lange man es eben aus Gründen der Trauer oder Pietät möchte .


    Ist es "pietätlos" wenn eine Witwe keine Trauerkleidung trägt ?
    Nein . Trauer ist eine innere Einstellung und hat nichts mit einer Kleidungsfarbe zu tun. Obwohl ich grundsätzlich für den "optischen Hilferuf" bin ( wenn er nötig ist) , sehe ich aber auf der anderen Seite auch, dass die Witwe dadurch selber fortwährend an den Verstorbenen erinnert wird... selbst wenn es keinen anderen Auslöser als die Kleidungsfarbe gibt.


    Um mit einer Trauer fertig zu werden, gibt es keine Patentrezepte. Für die Trauerbewältigung ist es aber auch nötig, dass man sich eben nicht dauernd und jeden Moment an den Verstorbenen erinnert. Zur Trauerbewältigung gehört also auch ein Teil des Vergessens und Verdrängens. Man muss schließlich sein Leben weiter leben und bewältigen.
    Es gibt auch ohne Trauerkleidung genügend Auslöser , die dafür sorgen , dass man erneut erinnert wird.


    Grundsätzlich sollte man also von der Trauerkleidung Abstand nehmen , sobald man das eigene Leben wieder neu organisiert hat.


    PS:
    Ich habe festgestellt , dass viele Hinterbliebene nach einem Todesfall sogar ihren Stil komplett ändern. Neue Kleidung, neue Gewohnheiten , neue Bekannte und Freunde helfen ihnen dabei, mit der neuen Lebenssituation besser umgehen zu können.
    Man sollte so etwas nicht verurteilen , sondern respektieren.


    In dem Zusammenhang ...
    Wie sollte man (z.B. als Kind) sich einer erneuten Heirat gegenüber stellen ?
    Dazu sage ich: Denk mal einfach an deinen Vater oder deine Mutter und nicht nur an dich selbst. Er/sie haben auch ein Recht auf ein glückliches Leben. Wenn er/sie einen neuen Lebenspartner findet, hat das nichts mit dem/der Verstorbenen zu tun. Gönne es ihm/ihr, dass er/sie wieder eine etwas glücklichere Zeit nach der schweren Trauerzeit hat. Unterstütze ihn/sie sogar in seinem/ihrem Entschluss , damit er/sie sich keine Sorgen macht oder - nur dir zuliebe - davon Abstand nimmt.


    Wer das bis hier gelesen hat, ist wahrscheinlich ein Erwachsener.
    Als Erwachsener sollte man auch "sachlich bleiben" können ,wenn es um Trauer geht. Deine eigene Trauer sollte daher kein Zwang für andere sein, dass sie sich "unbedingt ihr anschließen müssen". Als (z.B. Kind) ist es sogar deine moralische Pflicht , mit dafür zu sorgen, dass der hinterbliebene Elternteil so schnell wie möglich zu einer "Normalität" zurückfindet , die ihm das Leben erleichtert.
    Solltest du das für "nicht gut befinden" , bist du eigentlich noch nicht wirklich (von der Einstellung her) erwachsen. Ein Erwachsener trägt nicht nur die Verantwortung für sich selbst, sondern auch für seine Mitmenschen - insbesondere nahe Angehörige.
    Es ist wahrscheinlich nicht jedermanns Sache, einer Entscheidung zuzustimmen, die einem innerlich vom Gefühl her widerstrebt. Da muss dann "die Sachlichkeit kommen" , die das Wohl des Anderen über die eigene Gefühlslage stellt.

    Ich ahne, dass dieses Thema wahrscheinlich eher wenig gelesen oder diskutiert wird.

    Alles was mit dem Sterben zu tun hat, schiebt man lieber weit von sich und möchte ungern daran erinnert werden. Es wird aber (leider) der Zeitpunkt kommen, an dem man damit trotzdem konfrontiert wird. Für solche Fälle schreibe ich diese ( und ähnliche) Themen. Sie sollen etwas Hilfe geben oder einfach mal etwas "sachlich betrachten, was man nicht sachlich betrachten kann" oder auf was man sich nicht vorbereitet hatte.