Schwarzfahren: Sind Erhöhungen für Strafgelder wirklich nötig ?

  • Schwarzfahren ist die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels , ohne die dafür fällige Gebühr zu entrichten. Wird man dabei erwischt, zahlt man ein "erhöhtes Beförderungsgeld". Dieses wurde jetzt von 40 auf 60 Euro angehoben.


    Die Verkehrsbetriebe argumentieren so:
    X Prozent der Mitfahrer zahlen keine Gebühren. Dadurch entstehen uns Einnahmeverluste, die durch die erhöhten Beförderungsgelder wieder teilweise ausgeglichen werden sollen.


    Zahlende Fahrgäste argumentieren so:
    Warum soll ich die Kosten für Schwarzfahrer zahlen ? Es ist gerecht, wenn die entsprechend hohe Strafgelder zahlen müssen.


    Der Fahrgastverband argumentiert so:
    Der Betrieb soll erst einmal dafür sorgen, dass es überall funktionsfähige und nahgelegene Fahrkartenautomaten gibt , die auch einfach zu bedienen sind.


    Was ist dran an den Argumentationen ?
    Wenn die Beförderungsgebühren so hoch sind , dass sie nicht mehr nachvollziehbar sind , sinkt das Unrechtsbewusstsein immer weiter.


    In manchen Städten zahlt man von einer Haltestelle zur anderen, teilweise bedeutend mehr als für kürzere Entfernungen zu anderen Haltestellen. Das liegt daran, dass man eine Tarifzone verlässt und in eine andere fährt.
    Das ist nicht nachvollziehbar, weil man (bei gleicher Entfernung) dadurch ja nicht mehr Kosten verursacht als innerhalb einer Zone.
    Schuld hat also der Verkehrsbetrieb. Der Tarif ist "ungerecht". Das Unrechtsbewusstsein sinkt.


    In anderen Ländern kann man zum Beispiel einen Bahnhof erst betreten, wenn man durch eine Schranke gegangen ist, an der man sein Ticket entwerten muss. Dieses Verfahren gibt es auch für Straßenbahnen in größeren deutschen Städten in Bahnhöfen.
    Dadurch kann man wirklich nur absichtlich Schwarzfahren.
    Die Betreiber sparen sich aber diese Maßnahmen oft und gehen lieber davon aus, dass jedes Schwarzfahren Absicht ist.


    Die Gebühren sind oft so übertrieben hoch , dass sich Schwarzfahren selbst dann noch lohnt, wenn man erwischt wird.
    Ich kenne eine Strecke, bei der ich für eine einzelne Fahrt für rund 15 Minuten Fahrt so viel zahlen soll wie den Mindestlohn pro Stunde. Ein Arbeiter muss also faktisch mehr als 2,5 Stunden arbeiten (weil er ja keine 8,50 wirklich ausbezahlt bekommt) wenn er diese Strecke hin und zurück fahren will.
    Die Leidtragenden sind hier Leiharbeiter, die sich kein Mehrfachticket kaufen können, weil sie von einen auf den anderen Tag zu einem anderen Arbeitsort versetzt werden können. Sie müssen also mehr als 25% ihres täglichen Arbeitslohnes allein für die Fahrt zur Arbeitsstelle und zurück bezahlen.
    Überzogen hoher Tarif. Gerade die, die unbedingt auf den ÖPNV angewiesen sind, werden hier bis aufs Blut geschröpft , wenn sie selbst kein Fahrzeug haben.


    Wir haben Einnahmeverluste ?
    Nein, liebe Betreiber, habt ihr nicht. Ihr rechnet die Zahl der erwischten Schwarzfahrer einfach auf eine fiktive Zahl hoch um über eure "Verluste zu heulen".
    Ihr könnt nicht einfach eine Zahl hochrechnen und dann mit dieser fiktiven Zahl an Schwarzfahrern Verluste anmelden. Jeder erwischte Schwarzfahrer zahlt ein Vielfaches der normalen Gebühr. Das deckt automatisch mehrere Fahrten ab - auch die von einigen nicht erwischten Schwarzfahrern. Eure "Verluste" sind also nur "Buchwerte" die auf reiner Rechnerei basieren.
    Damit beeinflusst ihr absichtlich die Meinung der Fahrgäste:
    "Ihr seid die Guten. Die anderen sind die Bösen"


    Wenn schon vorher Schranken eingebaut sind ,die ein Schwarzfahren faktisch verhindern, ist auch kein Kontrollpersonal mehr nötig. Diese Schranken sparen also im Endeffekt sogar Aufwand .
    Es liegt aber gar nicht im Interesse der Betreiber, das Schwarzfahren gleich zu verhindern.
    - Erwischte Schwarzfahrer finanzieren Personal und bringen Zusatzeinnahmen
    - Das Verhindern von Schwarzfahrten sorgt dafür dass es keine "fiktiven Verluste" mehr gibt. Die teilweise überzogenen Tarife lassen sich nicht mehr begründen.



    Ich wurde auch schon mal beim Schwarzfahren erwischt. Damals hatte ich mir gerade einen Mehrfahrten-Block gekauft , eingestiegen und der nächste Entwertungsautomat in der Straßenbahn war an der nächsten Tür. Als ich mich endlich durchgequetscht hatte, war die nächste Haltestelle heran und der Kontrolleur fing mich kurz vor dem Automaten ab.
    Da nutzte es nichts , dass ich eins der Tickets in der Hand zum Automaten ausgestreckt hatte. Es war nicht entwertet. Er stand mir im Weg dahin.
    Für mich persönlich bestand keinerlei Grund zu einer Schwarzfahrt. Ich wollte viel weiter und hatte auch genügend Tickets. Jedes deckte die ganze Entfernung ab und war den ganzen Tag gültig.


    Ich kann also nachvollziehen, wie es einem angeblichen Schwarzfahrer zumute ist, den wirklich keine Schuld trifft, außer dass er dieses Beförderungsmittel genutzt hat.


    Auf der "teuren Strecke" habe ich es aber auch schon erlebt, dass Arbeitskollegen absichtlich zu Schwarzfahrern wurden. Ich zahlte von meinem kargen Lohn , während die sich durchschummeln ? Das passte mir natürlich auch nicht.
    Mit solchen absichtlichen Schwarzfahrer habe ich kein Mitleid. Wer mitfahren will, hat auch zu zahlen Wenn ein absichtlicher Schwarzfahrer "seine eigene Rechnung" hat, so ist es eben sein Problem, wenn er "das Spiel verliert". Das war seine Entscheidung.

    Ich habe aber auch kein Mitleid mit den Verkehrsbetrieben.

    Es liegt schließlich nur an ihnen, faire Tarife zu schaffen , die die Gebührenakzeptanz fördern.


    Übrigens habe ich auch Verständnis für die Kontrolleure
    Es ist ihr Job, möglichst viele Schwarzfahrer zu erwischen. Haben sie "keine Erfolge", wird davon ausgegangen, dass sie ihren Job nicht korrekt machen.


    Es gibt eine Kommune im Ruhrgebiet , die eine geniale Idee hat
    Wer beim Schwarzfahren erwischt wird, bekommt für die erhöhte Beförderungsgebühr gleich eine Monatskarte angeboten. Der Schwarzfahrer "bekommt also etwas für sein Geld" und wird mindestens einen Monat nicht mehr zum Schwarzfahrer werden.
    Das ist fair, weil es nicht auf "Gewinnerzielung durch Schwarzfahrer" ausgerichtet ist, sondern auf faire Nutzung der Verkehrsmittel.
    :thumbup::thumbup::thumbup:


    Wer einmal sorglos einen Monat gefahren ist, wird sich vielleicht im nächsten Monat freiwillig ein Monatsticket kaufen . Es folgt also durchaus ein positiver Erziehungseffekt , der zu einer Verhaltensänderung führen kann. Ganz ohne "Strafen" oder "Abkassieren".



    Bevor man sich eine Meinung bildet, muss man also erst einmal alles aus allen möglichen Richtungen betrachten.
    Schwarzfahrer sind nicht "nur schlecht" und Betreiber sind nicht "nur gut".
    Erst wenn man beide Seiten angehört hat, kann man sich eine Bewertung über den Einzelfall erlauben. Das gilt dann aber nur für den Einzelnen und nicht automatisch auch für alle anderen.