Afghanistan: Truppenabzug, Taliban, Rettungsaktionen

  • Ich habe ganz absichtlich erst einmal abgewartet, wie sich die Lage weiter entwickeln wird. Grundsätzlich hatte man ja erwartet, dass so etwas ähnliches passieren könnte. Die ganze Welt wurde jedoch von der Spontanität und Geschwindigkeit, mit der das geschah, regelrecht überrumpelt.


    Ein kurzer Überblick über den Ablauf


    Die USA planen einen Rückzug aus Afghanistan. Unterstützende Länder (wie z.B. Deutschland) passen ihre Planung dementsprechend an

    Die USA stellen den größten Teil der Kampfeinheiten. Sie werden durch Unterstützungstruppen verstärkt, die sich um andere Belange kümmern.

    Jede Einheit hat ihre spezielle Aufgabe.


    Die Bewaffnung der Unterstützungseinheiten ist eher marginal und nur zum kurzzeitigen Eigenschutz gedacht und geeignet. Falls es zu Eventualitäten kommen sollte, können die Kampfeinheiten jederzeit zu Hilfe eilen.

    Ohne Kampfverbände können die Unterstützungskräfte jedoch nicht mehr dort verbleiben. Der Abzug muss also zwangsweise zu einer ähnlichen Zeit erfolgen.


    Der Abzug der Hauptkampfeinheiten wird durch die USA sehr kurzfristig vorverlegt

    Die Unterstützungskräfte mussten vorher langfristig alle Unterstützung sicher stellen. Das Material musste bis bis zum Ende verfügbar sein und dementsprechend auch weiterhin bevorratet werden. Der Abzug von Einheiten und Material konnte also nur allmählich erfolgen.


    Die kurzfristige Änderung der Pläne versetzte die Unterstützungskräfte in plötzlichen Zugzwang: Alle Plänen waren hinfällig. Viel zu viel Material und Kräfte. Viel zu wenige Transportkapazitäten.


    ...


    Was haben die Unterstützungskräfte da wohl eigentlich gemacht ?

    Sie haben nicht nur die Kampfeinheiten unterstützt, sondern vorrangig der Bevölkerung Hilfe geleistet. Das geschah u.a. durch Aufbau und Ausbau von Infrastrukturen, Straßen, Wasserversorgung, Ausbildung zur Selbsthilfe etc.pp.

    Eine der Aufgaben war, dass auch die dortige Armee so ausgebildet und ausgerüstet wird, dass sie ihr Land selbst verteidigen kann. Parallel dazu wurden Polizeikräfte ausgebildet, die später für Recht und Ordnung sorgen sollten.

    Natürlich erhielten sie überall auch Unterstützung aus der Bevölkerung. Schließlich wussten die Menschen ja, dass es ihr Land ist, das dort Stück für Stück wieder aufgebaut wurde.


    In einer solchen Lage kann man natürlich nicht sagen "Tschüss. Ich bin dann mal weg. Macht ohne uns weiter". Alles muss ordnungsgemäß übergeben werden. Die Aufgaben der Unterstützungskräfte müssen durch die Einwohner übernommen werden. Das dauert seine Zeit und geht nicht von heute auf morgen.


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    Allgemein hatte man wohl gehofft, dass sich die Strukturen im Land mit der Zeit selbst tragen werden. Immer mehr würde durch Einheimische übernommen werden. Man bildete Lehrer aus, die dann später weitere Lehrer ausbilden könnten.


    Gleichzeitig versuchte man aber auch, die Gesellschaft und ihre Strukturen zu ändern. Nach aktueller Meinung von Fachleuten, war das wohl ein Fehler. Die Menschen in Afghanistan haben eben eine andere Kultur, Verhalten, Gesellschaftsleben und Rechtssystem.


    Was man auch nicht bedacht hatte - und das rächte sich jetzt - war, dass es in Afghanistan kein allgemeines Zusammengehörigkeitsgefühl gibt. Man fühlt sich eher einer bestimmten Region als dem ganzen Land zugehörig.


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    Ein weiterer Fehler war, dass man mit einem allmählichen Wandel gerechnet hatte, wenn die Kräfte abgezogen würden.

    Schließlich hatte man genügend Soldaten und Polizeikräfte ausgebildet, die dann für eine stabile Lage sorgen könnten, wenn es dann später nötig sein würde.


    Die US-Truppen werden schlagartig abgezogen

    Jetzt muss alles umgeplant werden. Aus einem allmählichen Zurückziehen, muss ein schneller Rückzug werden. Die Sicherheit der Unterstützungskräfte ist nicht mehr gewährleistet. Die einheimischen Hilfskräfte werden wohl hoffentlich sicher sein, da sie durch die eigne Armee und Polizeikräfte unterstützt werden.


    Es wird wohl noch Wochen und Monate brauchen, bis die Taliban wieder zahlreich genug sind und sie werden wohl durch die neu ausgebildeten und ausgerüsteten Kräfte gebändigt werden können.

    Afghanistan wird sich wohl wieder selbst helfen und regulieren können.


    Das war eine totale Fehleinschätzung der Lage.


    Es passierte ganz anders als man es vorhergesehen hatte

    - Man stand den Taliban nicht abwarten oder ablehnend gegenüber, sondern schloss sich ihnen an.

    - Die Armee, die eigentlich eine 10fache Übermacht hatte, stellte sich nicht gegen die Übernahme, sondern die Soldaten flüchteten mit Militärfahrzeugen und - Flugzeugen ins nahe Ausland.

    - Die Polizeikräfte versuchten nicht, Ordnung zu halten, sondern schlossen sich auch den Taliban an

    - Die einzelnen Städte wurden nicht überrannt, sondern freiwillig an die Taliban übergeben.


    Aufgrund dieses massenhaften Überlaufens und Fraternisierens haben die Taliban nicht Monate und Wochen gebraucht, sondern standen schon nach nur wenigen Tagen direkt "vor der Tür" der Einsatz- und Unterstützungskräfte.


    Um die Einheiten und zivilen Kräfte zu schützen, mussten sie jetzt nicht mehr abgezogen, sondern evakuiert werden.

    "Geordneter Rückzug" ist nur eine Umschreibung für "Flucht" - nichts anderes passiert gerade in Afghanistan.


    Alle Einwohner, die auf Seiten der fremden Kräfte gestanden und ihnen beim Wiederaufbau geholfen hatten, müssen nun um ihr Leben fürchten.


    Erste, fast planlose Evakuierungen laufen an

    Die USA schicken große Truppentransporter. Parallel dazu werden weitere Truppen in die Krisenregion geschafft, die dafür sorgen sollen, dass die Evakuierungen überhaupt stattfinden können. Tausende Truppen werden zusammen gezogen und neu herbei geschafft.

    Gleichzeitig wird gedroht, dass man im Ernstfall erneut mit starken Kräften kommen und zurück bzw. zuschlagen wird.


    ...


    Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten faktisch selbst demilitarisiert. Für Evakuierungen stehen daher weder genügend große noch eine genügende Menge an Transportflugzeugen zur Verfügung. Da Deutschland immer nur Unterstützungskräfte gestellt hatte, gibt es auch keine riesige Menge an kampf- und kriegserprobten Kräften, die für einen solchen Fall ausgebildet worden sind und die man mal eben rüber schicken könnte.


    Es gibt nur eine verhältnismäßig kleine Spezialeinheit, die für alle Eventualitäten ausgebildet wurden. Über die genaue Ausrüstung, Fähigkeiten und Truppenteile wird strengstes Stillschweigen bewahrt. Sie werden einfach nur ganz allgemein als "Fallschirmspringer" und/oder "schnelle Eingreiftruppe" bezeichnet.


    Mit einer der ersten Evakuierungsmaschinen wurden gleichzeitig auch diese Sicherungstruppen nach Afghanistan geschafft.

    Sie sorgen jetzt dafür, dass die weiteren Evakuierungsflüge stattfinden können. Die ersten Flüge waren noch völlig ungeschützt und mussten deshalb vorzeitig und mit nur wenigen Personen an Bord starten.

    Gleichzeitig sollen sie auch die zu schützenden Personen zu den Flugzeugen begleiten und schützen.


    Die Evakuierungen werden mit einigen wenigen Truppentransportern im Pendelverkehr nach Taschkent durchgeführt. Von dort aus werden sie durch Linien- und Chartermaschinen nach Deutschland gebracht. Daran ist u.a. die Lufthansa beteiligt.


    Die Taliban haben die Macht übernommen

    Einerseits sichern sie zu, dass sie weder einheimische zivile Helfer (Ortskräfte) der Bundeswehr bedrohen oder bestrafen würden. Sie haben sogar eine Generalamnestie erlasen.

    Andererseits wird darüber berichtet, dass Helfer gefoltert und getötet werden.


    Die Taliban haben den Ortskräften freien Abzug versprochen.

    Jeder kann bleiben, ohne dass er für das, was er vorher gemacht hat, bestraft wird.


    Die Taliban stellen die öffentliche Ordnung wieder her.

    Kämpfer dürfen weder Privathäuser betreten, noch Autos mitnehmen. Es war schon zu massiven Plünderungen und Raubzügen gekommen. Man kann damit rechnen, dass ein Verstoß drakonische Strafen nach sich zieht.


    Die Taliban garantieren Schutz und Anerkennung von Frauen und eine ordentliche Gerichtsbarkeit

    Das aber nach islamischen Recht und Vorbild. Es ist also nichts, was wir darunter verstehen würden.


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    Ist den Zusicherungen der Taliban zu trauen ?

    Die Taliban haben alle Flughäfen eingenommen und verhindern den Abflug von Zivilmaschinen. Nur der, durch Kampfeinheiten, geschützte Flughafen kann noch für Evakuierungsflüge geschützt werden.


    Die Sicherungseinheiten werden angegriffen


    Es werden nur ausländische Personen durchgelassen. Einheimische Ortskräfte werden daran gehindert, zum Flugplatz zu kommen.


    Ortskräfte werden getötet



    Die Bundesrepublik hat die Zahlung aller Entwicklungshilfen mit sofortiger Wirkung eingestellt

    Normalerweise zahlt Deutschland auch dann weiter Entwicklungshilfen, wenn es schwere politische Zerwürfnisse gibt. Die Türkei erhält erst seit sehr kurzer Zeit keine Entwicklungshilfe mehr.

    Wenn die Bundesrepublik einen so knallharten Schlussstrich zieht, muss wohl tiefstes Misstrauen herrschen


    Was ist mit den Rückführungen der abgewiesenen Asylsuchenden ?

    Deutschland hat die Rückführungen ausgesetzt. Österreich fliegt sie weiterhin nach Afghanistan aus.


    Private Meinung:

    Abgewiesene Asylsuchende haben nicht nachweisen können oder wollen, dass sie verfolgt werden und/oder wegen ihrer politische Einstellung in Afghanistan in Lebensgefahr sind.

    Andererseits werden und wurden auch Asylbewerber ausgewiesen, die in Afghanistan selbst Menschen verfolgt und getötet haben. Entsprechende Belege liegen vor. Die Taten können jedoch nur in und von dem Land geahndet werden, in denen es passiert ist und/oder dessen Bürger sie verübt haben.


    Es sind natürlich alles menschliche Schicksale. Soll man aber

    - Menschen schützen, die in einem anderen Land eine Straftat begangen haben, in dem ihnen bei Wiedereinreise eine landestypische Strafe erwartet ?

    - Menschen schützen, die einfach nur behaupten, dass sie in Gefahr sind ? Bis zur Abschiebung vergehen oft viele Jahre, in denen oft genug Rechtsmittel eingelegt, mit dem Ziel das Bleiberecht zu verlängern oder den Beleg für eine asylrechtlich relevante Verfolgung zu erbringen.


    Deutschland hat damals auch unzähligen Menschen humanitäre Hilfe und Schutz geboten als es in Osteuropa Kriege gab. Humanitäre Hilfe ist immer aber auch zeitlich begrenzt. Die Menschen mussten deshalb damals nach einigen Jahren wieder zurück in ihre Heimatländer.


    Die Menschen von damals hatten ähnliche Probleme wie die Menschen heute.

    Für sie gab es aber auch keine Wahl. Sie waren nur Gäste und ein Gast muss irgendwann auch wieder gehen.


    Es gibt aber auch eine andere Seite: Früher abgewiesene Ortskräfte wollen gerettet werden

    Einen Fall habe ich im TV mitbekommen:

    Ein Mann hatte in Deutschland so schwere Straftaten begangen, dass er schlussendlich abgeschoben wurde. Eine Wiedereinreise wurde ihm lebenslang untersagt. Jetzt möchte er auch evakuiert werden.


    Gelten Urteile oder darf man sie später einfach ignorieren ?


    Ich habe es nicht ohne Hintergedanken in Fragen gefasst:

    IHR sollt euch schließlich eure eigenen Gedanken darüber machen und euch die Fragen selbst beantworten.,

    Ihr werdet merken, das man die Fragen nur sehr schwer eindeutig beantworten kann.

    Jede Antwort wird gleichzeitig richtig und auch falsch sein. :P

  • Evakuierungsflüge

    Die USA haben in 110 Flügen rund 1000 Menschen in Sicherheit gebracht, Inbegriffen sind dabei die über 600 Menschen, die auf dem ersten Flug befördert wurden. Es handelte sich also um eine ungewöhnliche und fast Verzweiflungstat des Piloten und nicht um ein übliches Vorgehen.

    Im Durchschnitt wurden in den Maschinen nur die vorgesehene Zahl an Personen (um die 100-150) befördert


    Deutschland hat bislang rund 260 Menschen evakuiert