Schiff sinkt: Warum heißt es eigentlich "Frauen und Kinder zuerst" ?

  • "Der Kapitän geht als Letzter von Bord"
    "Frauen und Kinder zuerst"
    "Ein Kapitän geht mit seinem Schiff unter"


    Diese Sprüche/Redewendungen gab es nicht schon immer, sondern haben sich erst seit etwas mehr als 100 Jahren eingebürgert.


    Der Ruf "Frauen und Kinder zuerst" ertönte erstmalig beim Untergang der Titanic
    Der Luxusdampfer hatte so wenige Rettungsboote an Bord, dass nur ein ganz geringer Teil der Fahrgäste und Besatzung damit gerettet werden konnte.
    Man musst also ganz gezielt auswählen, wer ein Rettungsboot benutzen sollte und wer ertrinken musste oder "auf Gott vertrauend" auf andere Rettung warten sollte.


    Wieso wurden wohl (am Ende des Ausbootens) Frauen und Kinder ausgewählt ?
    1) Ehrgefühl und allgemeines Verständnis davon, was als "ehrenwert" gewertet wird
    Es galt als besonders "ehrenhaft" wenn sich der Stärkere dafür opferte, damit der Schwächere überlebt. Männer galten damals als das "starke Geschlecht"
    Nur ein Jahrhundert früher hätte das überhaupt keinen Sinn ergeben. Die Männer waren die Ernährer der Familie. Eine Frau mit Kind landete im günstigsten Fall im "Armenhaus". Verlor die Familie ihren Ernährer, standen die Chancen sehr schlecht, dass sie überleben würde.


    2) Nachkommen müssen beschützt werden
    Es "liegt in der Natur", dass man die Nachkommen schützt und sich dafür notfalls auch selbst opfert. Völlig unlogisch wäre es gewesen, wenn man nur die Kinder gerettet hätte. Ohne Mutter wären sie verloren und wären an Hunger usw. gestorben. Deshalb musste man auf jeden Fall Frauen mit retten, die die Kinder ernähren und erziehen können.


    "Der Kapitän geht als Letzter von Bord"
    Auch dieser Spruch stammt aus der gleichen Situation.
    Es ist eigentlich "nur Ehrensache", dass sich der Verantwortliche so lange der Gefahr selber stellt, bis alle anderen eine Überlebenschance haben. Er zeigt damit nur, dass er seine Verantwortung ernst nimmt und notfalls eben die Konsequenzen trägt, wenn er seinen eigenen Platz an einen Schutzbedürftigen abtreten muss.


    "Ein Kapitän geht mit seinem Schiff unter"
    Völlig unsinniger Spruch, der nur auf "Ehrbegriffe" auf alten Kriegszeiten beruht. Er kam so ziemlich zum ersten Mal bei der Schlacht um Tragfalgar auf, als die Kapitäne lieber mit ihrem Schiff untergingen, als später als "Versager" die Verantwortung für ihre Entscheidungen zu tragen.


    Dadurch, dass sie mit ihrem Schiff untergingen, akzeptierte die Gesellschaft auch die "falschesten Entscheidungen". "Er hat selbst darunter gelitten, deshalb ist der Ehre Genüge getan".
    In einer Kriegsflotte war das auch besser, man ertrank, als dass man später vor ein Kriegsgericht gestellt wurde und "unehrenhaft füsiliert" wurde. So ersparte man der eigenen Familie wenigstens noch die Schande.


    Feige mit dem eigenem Schiff untergehen, damit man sich später nicht vor den Opfern verantworten muss .. mehr ist es nicht.
    Außer "Ehrgefühl" und "Feigheit vor den Folgen des eigenen Tuns" .. mehr Gründe gibt es nicht, mit dem eigenem Schiff unterzugehen.


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    Kommen wir doch einmal in die heutige Zeit zurück. Welcher Spruch hat heute noch eine Berechtigung ?


    Zitat

    "Der Kapitän geht als Letzter von Bord"


    Das ergibt noch einen Sinn, wenn ....


    - er dadurch seine Verantwortung ernst nimmt und alles unternimmt, um alle anderen zu retten, die seiner Hilfe bedürfen.
    Wegen seiner gut ausgebildeten Mannschaft muss er das aber eigentlich nicht mehr. Jedes Besatzungsmitglied muss so gut ausgebildet sein, dass es in einer Gefahrensituation weiß, was es zu tun hat. Da gehört zum Job.
    Es ändert nichts an der Situation, wenn der Kapitän an Bord bleibt, wenn er doch nichts mehr bewirken kann.


    - er sich dadurch nicht sinnlos opfert
    Der Kapitän bleibt so lange, wie er noch was bewirken kann. Er kann Erfahrungen gewinnen, die später für ihn und andere nützlich sein werden. Mit seinen Erfahrungen kann er andere Kapitäne darauf aufmerksam machen und auch Lösungen für ähnlich gelagerte Fälle anbieten - oder eben sagen, was nicht geklappt hat.


    Die Geschichte der Seefahrt wimmelt von Schiffsuntergängen.
    Mit jedem Untergang gab es neue Erfahrungen, die die Kapitäne vermitteln konnten. Es war also faktisch schon die Pflicht eines Kapitäns, eben NICHT mit seinem Schiff unterzugehen, damit seine Erfahrungen nicht mit ihm untergehen.


    Zitat

    "Frauen und Kinder zuerst"


    Ja, hat weiterhin Berechtigung - aber nur wenn es nicht genügend Rettungsmöglichkeiten für alle gibt.


    Wenn genügend Rettungsmöglichkeiten vorhanden sind, sollten sie so besetzt werden, dass das Verhältnis "Starke und Schwache" 1:1 ist. Die Starken müssen dann den Schutz der Schwachen gewährleisten --- unabhängig von Geschlecht und Alter.


    Es gibt längst kein "starkes Geschlecht" mehr. Frauen und Männer sind körperlich längst gleich leistungsfähig geworden.
    Ein "schwacher Mann" (z.B. wegen Krankheit oder Alter) hat damit das gleiche Recht gerettet zu werden wie eine "schwache Frau".


    Nur bei den Kindern hat sich nichts geändert.
    "Jeder Starke" und jeder Erwachsene hat die Pflicht, sie zu schützen. Selbst wenn er körperlich schwach ist, hat er doch mehr Erfahrungen , um das Überleben der Kinder zu sichern, als wenn sie völlig schutzlos gerettet werden.


    Das ist wieder "Ehrensache" .. aber auch der natürliche Instinkt der Arterhaltung. Ein "Menschenkind" ist nicht allein in der Lage sich selbst zu versorgen und zu beschützen.